Joachim Valentin führt in das neue Kompendium zur digitalen Transformation und ihrer Dynamik sowie Konsequenzen für Kirche und Theologie ein
Am 11. Mai 2021 erschien im Herder Verlag ein Kompendium mit dem Titel „Theologie und Digitalität“. In dieser Größenordnung und Breite ist das ein Novum und kann aber zugleich nur als erster Versuch gelten, den Megatrend Digitalisierung als Zeichen der Zeit theologisch zu reflektieren: Die digitale Transformation und Durchdringung aller Bereiche von Staat und Religion, Wirtschaft, und Kultur, Gesellschaft und Alltag durch die technischen Möglichkeiten, die sich aus der Übertragung von Daten der analogen Welt in digitale Daten ergeben, auch unscharf „Digitalisierung“ genannt, wird zumindest von der OECD neben Globalisierung und Klimawandel für einen solchen Megatrend gehalten[1].
Eine Theologie, die „an der Zeit“ sein will und muss, kann demnach den zentralen Entwicklungen in diesem Feld nicht tatenlos zusehen: den ökonomischen, sicherheitspolitischen und sozialen Folgen einer globalen Datenübertragung und Kommunikation, aber auch den weiterreichenden Veränderungen im Menschenbild. Schließlich muss sie theologische Fragen im engeren Sinne beantworten, vor allem nach dem Netz als einer Art Superintelligenz, der nicht selten gottgleiche Eigenschaften zugesprochen werden.
Die genaue und fachkundige Beobachtung des Phänomens, seine Bewertung nach Chancen und Risiken für eine menschenwürdige oder gottgewollte Existenz hat deshalb schon seit einigen Jahren in der evangelischen wie katholischen Theologie ebenso begonnen, wie die Frage nach angemessenen Handlungsstrategien und Fragen der Gestaltung eines christlichen Lebens und Denkens in einer digitalisierten Welt. Hier sind vor allem die englischsprachigen Arbeiten von Heidi A. Campbell zu erwähnen, die schon seit zehn Jahren die religionswissenschaftliche und theologische Valenz des Themas Digitalität erkannt und in ihrer wissenschaftlichen Analyse wichtige Impulse für die interdisziplinäre Erforschung des vieldimensionalen Themas gesetzt hat.[2] Im deutschsprachigen Raum sind die praktisch-theologischen Arbeiten von Ilona Nord,[3] Johanna Haberer[4], Kristin Merle[5], Ulrich Hemel[6] und Johannes Hoff[7] zu nennen, sowie neuerdings – aber wohl eher im Sinne einer gut lesbaren Analyse von digitalreligiösen Oberflächenphänomenen Christian Hoffmeisters Google Unser[8]. Zudem haben beide großen Kirchen dem Thema bereits größere Arbeits- oder Orientierungspapiere gewidmet[9].
Das nun vorliegende Kompendium hat sich die Aufgabe gestellt, mithilfe von 25 Expert*innen aus Medien- und Kulturwissenschaft, Soziologie und digitaler Theorie, aber eben auch aus verschiedenen theologischen Disziplinen, möglichst viel des bisher im deutsch- und englischsprachigen Raum vorhandenen Wissens in einem Band zu versammeln und so weiterreichende Forschungen und Debatten anzuregen. Jeder Beitrag folgt dabei seiner eigenen Fragestellung und Logik, wenngleich die Fragerichtungen der theologischen Kapitel zwei bis fünf sich grob den Disziplinen systematischer und praktischer Theologie, theologischer Anthropologie und Ethik/Moraltheologie zuordnen lassen.
Joachim Valentin im Namen der Mitherausgeber(in) Ilona Nord und Wolfgang Beck
Joachim Valentin, geb. 1965, Dr. theol., Direktor des Katholischen Zentrums „Haus am Dom“, Frankfurt a.M. und außerplanmäßiger Professor für Religions- und Kulturtheorie an der Goethe-Universität Frankfurt a.M. Er ist Mitherausgeber des Kompendiums „Theologie und Digitalität“.
Die vollständige Besprechung finden Sie in der Ausgabe 2-2021 des Hirschberg-Magazins. Zur Bestellung
[1] Vgl. u.a. die wirksame Definition von Megatrends durch die OECD in ihrem Science, Technology and Innovation Outlook 2016 https://www.oecd.org/sti/Megatrends%20affecting%20science,%20technology%20and%20innovation.pdf. [ OECD 2016]
[2] H. A. Campbell (Ed.) Digital Religion. Understanding Religious Practice in New Media Worlds, London 2013 sowie neuerdings: dies. (Ed.), Digital Ecclesiology: A Global Conversation, online 2020: Online lesen und dies. Digital Creatives and the Rethinking of Religious Authority, Abing-don 2021. [Campbell 2021]
[3] I. Nord, Realitäten des Glaubens. Zur virtuellen Dimension christlicher Religiosität (Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs Band 5), Berlin 2008. [Nord 2008]
[4] J. Haberer, Digitale Theologie: Gott und die Medienrevolution der Gegenwart, Würzburg 2015. [Haberer 2015]
[5] K. Merle, Religion in der Öffentlichkeit. Digitalisierung als Herausforderung für kirchliche Kom-munikationskulturen (Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs; 22), Berlin u.a. 2019. [Merle 2019]
[6] U. Hemel, Kritik der digitalen Vernunft. Warum Humanität der Maßstab sein muss, Freiburg/B. 2020. [Hemel 2020]
[7] J. Hoff, Verteidigung des Heiligen. Die anthropologischen Herausforderungen der digitalen Trans-formation des dritten Jahrtausends, Freiburg/B. 2021. [Hoff 2021]
[8] C. Hoffmeister, Google Unser, Hamburg 2019. [Hoffmeister 2019]
[9] Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Virtualität und Inszenierung: Unterwegs in der digitalen Mediengesellschaft – Ein medienethisches Impulspapier, Bonn 2011 sowie dies., Medienbildung und Teilhabegerechtigkeit. Im-pulse der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz zu den Herausforderungen der Digitalisierung, Bonn 2016, Evangelische Kirche Deutschland (Hg.), Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft. Lesebuch zur Tagung der EKD-Synode 2014 in Dresden. Online verfügbar unter https://www.ekd.de/synoden_assets/download/synode2014-lesebuch.pdf, sowie neuerdings zusammenfassend: G. Kretzschmar, Digitale Kirche. Momentaufnahmen und Impulse, Leipzig 2019. [Kirchenpapiere]