In der AKH geht es kirchlich und demokratisch zu: Abstimmungen – zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen, zwischen Laien und Klerikern – mittels Stimmzetteln. Bild: AKH

Das Reich Gottes funktioniert nur mit allen

Im Gespräch mit Runa Schulze, die als junge Studierende zur Vorsitzenden des Dachverbandes aller katholischen Studierenden- und Hochschulgemeinden und deren hauptamtlichen Mitarbeitenden gewählt wurde, im Gespräch mit Marco Petrelli

„Die Kirche brennt“ ist das Titelthema dieses Heftes – brennt sie auch in den Hochschulgemeinden und falls ja, wo und warum?
Neben den aktuellen gesellschaftspolitischen Themen wie dem Krieg in der Ukraine und vor allem dem Klimaschutz als eines der  seit Jahren brennenden Themen, bleibt die große Frage: Wie finde ich meinen Glauben in dieser Kirche, die so vieles widerspiegelt, was ich selbst nicht lebe und wie komme ich damit zurecht – wie finde ich meinen Glaubensweg, einen Glauben, der zu mir passt, und den ich auch weiterhin leben kann?

Es brennt vor allem dort, wo sich junge Menschen nicht mit Kirche identifizieren können oder wo Kirche nicht mehr dem eigenen Lebensweg entspricht. Das fängt an bei der Frage der Sexualität und dass Kirche in meiner Umgebung viele Menschen einfach ausschließt, mit denen ich im privaten Umfeld und in den Hochschulgemeinden ganz normal zu tun habe und geht weiter zur Frage nach dem Umgang mit Frauen: Ich kann bestimmte Ämter nicht ausüben, ich werde nicht gesehen als Frau und habe nicht die gleichen Rechte. Das sehe ich auch bei unseren Seelsorgerinnen, die vieles nicht dürfen und betrifft auch den Bereich der Liturgie: Wie werde ich angesprochen in Gottesdiensten, wie kann ich dort mitgestalten, welche Möglichkeiten habe ich?

Wofür brennen junge Studierende in den Hochschulgemeinden?
Wofür junge Menschen in den Hochschulgemeinden wirklich brennen, ist das Engagement auf der praktischen Ebene mit konkret verknüpften Zielen: Was können wir tun, um ukrainischen Geflüchteten zu helfen? Welche Strukturen können wir aufbauen, um die Klimaschutz-Aktionen in unserer Stadt zu unterstützen oder uns dort mehr einzubringen? Bei uns in der Katholischen Hochschulgemeinde Erlangen schauen wir auch, welche Ressourcen – wie Räumlichkeiten, die andere Organisationen nicht besitzen – wir für Aktionen bereitstellen können, um Räume für den gegenseitigen und offenen Austausch mit anderen zu eröffnen. Dafür brennen viele in meiner Hochschulgemeinde.

Exerzitien werden bei uns in der Hochschulgemeinde zum Beispiel gerne angenommen, weil da ein Ort ist, wo ich offen über meinen Glauben reden, wo ich alle Zweifel ansprechen, in Ruhe meinen eigenen Glauben formen und meine Fragen loswerden kann, ohne vielleicht dafür verurteilt zu werden. Ein offener Raum für den Austausch über den eigenen  Glauben,  Halt geben aber auch einfach über gesellschaftspolitische Dinge, die einen bewegen, zu sprechen – das sind Dinge, die  jungen Menschen wichtig sind.

Weniger relevant sind Themen, die weit weg sind wie der Synodale Weg. Wenn man nicht gerade in Bundesstrukturen oder  höheren Strukturen dabei ist, spielt dieser eine sehr untergeordnete Rolle. Auch weil es selbst für diejenigen, die ihn verfolgen, zu kompliziert ist, an gut aufgearbeitete Informationen zu kommen – unter Transparenz verstehe ich etwas anderes. Schön, dass es den Synodalen Weg gibt, aber für die meisten ist es viel zu aufwendig, den Prozess zu verfolgen. In meiner Hochschulgemeinde gibt es zwei, drei Personen, die ab und zu fragen, was da gerade passiert und ob wir nicht mal wieder jemanden einladen wollen, der davon berichtet, aber der Rest erhofft sich auch nicht sonderlich viel von den Entwicklungen und verfolgt den Synodalen Weg daher auch nicht.

In der AKH als Dachverband aller katholischen Studierenden- und Hochschulgemeinden Deutschlands sind Ehrenamtliche und Hauptamtliche sowie Laien und Kleriker aus 123 Gemeinden vertreten und demokratisch organisiert. Wie funktioniert bei Ihnen demokratische Kirche und was kann die Amtskirche von Ihnen lernen?
Es funktioniert in der AKH so demokratisch, weil ehrenamtliche und Hauptamtliche gut zusammenarbeiten: Weil man bei uns die jahrelange Erfahrung der Hauptamtlichen in der Kirche schätzt, die Leitungserfahrung in Führungspositionen, Erfahrungen als
Hochschulreferent:innen und gleichzeitig aber das Neue, die Kreativität der jungen Menschen schätzt, die viele Dinge vielleicht auch erstmals naiv angehen – wir tauschen uns dann auf Augenhöhe aus, schmeißen die unterschiedlichen Hintergründe, Erfahrungen und Ansichten in einen Topf und schauen, was dabei rauskommt. Dabei bleiben wir ergebnisoffen.

Es ist eben nicht so, dass am Anfang ein Ziel fixiert wird, auf dass wir dann unbedingt hinarbeiten. Ziele haben wir generell schon: die Vernetzung von Hochschulen und Gemeinden, eine politische Stimme einbringen sowie die Vertretung nach außen, aber es ist nicht  vorgegeben, wie das zu passieren hat. Es gibt eine Geschäftsordnung, die unser demokratisches Handeln regelt: Über Anträge wird abgestimmt, ob Ausschüsse sich mit bestimmten Themen auseinandersetzen und Projekte anstoßen, wenn die Mehrzahl das möchte. Wie diese dann arbeiten, ist nicht strikt vorgegeben, sondern kann immer wieder verändert werden.

Sie haben eben angesprochen, dass in der AKH auch Hauptamtliche mitarbeiten, die bei Ihnen in einem  demokratischen System mit jungen Ehrenamtlichen zusammenkommen, von denen sie auch mal überstimmt  werden können. Wie kommen Hauptamtliche damit zurecht und wo menschelt es an dieser Stelle?
Das ist von Typ zu Typ unterschiedlich: Manche kommen damit gar nicht zurecht. Bei meiner Wahl zur Vorsitzenden zum Beispiel lief es bisweilen holprig und vielen ist diese neue Situation nicht leichtgefallen. Andere sind dagegen offen gewesen und können sich zurücknehmen nach dem Motto: „Ich lasse jetzt die anderen vor, auch wenn sie jünger sind“. Natürlich ist es schwierig, wenn man aus einem anderen System kommt, es ganz lange anders gelebt hat, aber trotzdem ist es möglich und ich hoffe, dass es auch  zukünftig in der Kirche möglich ist.

Sie erwähnten es bereits: 2021 wurden Sie zur Vorsitzenden des FHoK gewählt – wie fühlt es sich an und wie funktioniert es, als junge Studentin „Chefin“ eines Dachverbandes zu sein, in dem zahlreiche akademische Institutionen zusammengeschlossen sind, in denen zumeist Personen vertreten sind, die schon einige Jahre im „System Kirche“ auf dem Buckel haben?
Eine solche Wahl funktioniert vor allem durch eine demokratische Geschäftsordnung und Satzung, die eine Wahlmöglichkeit aller möglichen Personen für bestimmte Ämter an sich nicht ausschließt und die generell jeden auf gleicher Ebene annimmt. Anfangs lief es zugegebenermaßen nicht einfach, aber wir führen als Vorstand viele Gespräche und sind weiterhin im Prozess. Natürlich
ist es schwierig, wenn da plötzlich eine junge Frau an der Spitze ist und es ist klar, dass das vieles umwirft – es bedeutet auch, sich noch einmal ganz anders und neu finden zu müssen in den Gremien. Ich habe aber bereits rückgemeldet bekommen, dass sich dadurch Gesprächskultur und Kommunikationsweisen positiv verändert hätten.

Ohne das generalisieren zu wollen, aber durch mein neues Amt wurde mehr Vertrauen in die Vorstandsstruktur geschaffen. Viele Studierende haben nun das Gefühl, dass sie dabei sind und durch eine Stimme in den oberen Strukturen vertreten werden. Das schafft Vertrauen und das Gefühl, dass die  Anliegen der jungen Studierenden auch gehört werden.

Und was hat sich bei Ihnen persönlich verändert?
Zunächst habe ich viel dazugelernt, was Mitarbeitenden-Verantwortung und Bewerbungsverfahren betrifft; das ist etwas, das ich  vorher nie machen musste, deswegen auch überhaupt nicht konnte und immer noch im Lernprozess bin. Und ich bin zugegebenermaßen auch etwas desillusioniert: Man kann jemanden an die Spitze wählen, aber das ändert das System noch nicht.  Da muss zunächst einiges an Lernprozessen passieren. Das gilt ebenso für mögliche Szenarien einer Delegation von Laien in die  Vollversammlung der Bischofskonferenz: Nur Personen demokratisch da rein wählen, ist noch keine Lösung. Sondern es muss ein vorbereitender Prozess auf beiden Seiten stattfinden, um die eigenen Rollen anders und neu zu finden.

Was machen die Hochschulgemeinden anders als die „normale“ Pfarrei vor Ort, sodass sich junge Menschen mit Kirche identifizieren können?
Zunächst muss man festhalten, dass Hochschulgemeinden bundesweit sehr unterschiedlich organisiert sind: es gibt solche, die  genauso hierarchisch funktionieren wie eine normale Pfarrei und es gibt solche, in denen Ehrenamtliche praktisch alles selbst  organisieren, gerade wenn man auf die Ost-Bistümer schaut.

Was für unsere Gemeinde gut funktioniert, ist, dass sie uns selbst  gehört und wir die Freiheit haben, Angebote wie Gottesdienste weitgehend so zu gestalten, wie wir es wollen. Und wir dabei auch  die Offenheit haben, dass auch mal etwas schief gehen darf. Dass man auch mal aushalten kann, wenn etwas nicht funktioniert.  Das hat viel mit Zutrauen und Ergebnisoffenheit zu tun. Dazu gehört auch, dass die Verantwortlichen in den Hochschulgemeinden  Erfolge und Scheitern mittragen und Studierenden zu Seite stehen, selbst wenn sie als Leitende anderer Meinung sind. Dafür braucht es eine bestimmte Kultur von Austausch und Vertrautheit zwischen allen Personen, die in der normalen Pfarreigemeinde so wahrscheinlich erst entstehen müsste.

Ein weiterer Unterschied ist, dass wir gemeinsam unsere Angebote in einem  partizipativen Prozess planen und evaluieren. Das läuft auf niedrigschwelligem Niveau mittels Feedbackbögen, die ausgewertet  werden oder auch beim gemeinsamen Gespräch nach dem Gottesdienst oder Spiele- und Filmabend. Voraussetzung hierfür ist  auch wieder der Raum für offenen und ehrlichen  Austausch.

Was erwarten junge Menschen in den Hochschulgemeinden von einer zukunftsfähigen Kirche?
Offenheit, Transparenz, Respekt. Nicht nur, dass man dabei ist, sondern dass man auch gehört wird, dass man angenommen wird. Was junge Menschen auch erwarten, sind Gestaltungsmöglichkeiten von Kirche und nicht von  oben herab, sondern auf Augenhöhe. Und vor allem: Dass Kirche keinen Menschen verurteilt oder diskriminiert, dass sie für den  Menschen und nicht für eine Ideologie einsteht.

Die entscheidende Frage, die zukünftig gelöst werden muss, ist die Machtfrage. Alle weiteren Fragen wie z. B. nach Ämtern sind nachrangig, bevor nicht geklärt ist, wer Macht hat, wie diese genutzt wird und ob man bereit ist, Macht abzugeben und zu teilen.

Ihre persönliche Einschätzung: Wie sieht Kirche im Jahr 2030 aus? Demokratisch, gendergerecht oder doch alles beim Alten?
Ich bin da zwiegespalten. Einerseits ist es desillusionierend, wenn man bedenkt, dass bei allen positiven Entwicklungen die  Bischöfe oder Rom jederzeit Prozesse dann doch stoppen könnten und es einfach zu viele Stellschrauben gibt, an denen immer  irgendjemand sagen könnte: Nee, passt ihm nicht, fertig, passiert nichts.

Auf der anderen Seite merkt man, wie viel sich gerade tut, wie viele Bischöfe sagen: Wir gehen da mit, wir vertreten bestimmte Forderungen und wollen diese auch in unserer Diözese  umsetzen.

Ich würde mir sehr wünschen, dass wenn ich mit dem Studium fertig bin und mir die Frage stelle, ob ich anschließend in  eine normale Gemeinde gehe und auch für meine zukünftige Familie, der ich den Glauben gerne weitergeben möchte, dass ich  auf eine Kirche treffe, in der Partizipation möglich ist, wo alle gemeinsam an dem Ziel arbeiten, das Reich Gottes auf der Erde  schon jetzt spürbar machen zu können. Das geht aber nicht mit Diskriminierung, sondern nur, wenn wir alle die Möglichkeit  haben, uns zu beteiligen und einzubringen, denn das Reich Gottes funktioniert nur mit allen.

Runa Schulze, 24 Jahre alt, studiert Soziale Arbeit an der TH Nürnberg. Aufgewachsen ist sie mit der Kinder- und Jugendarbeit im Bistum Dresden-Meißen und war dort anschließend selbst aktiv. Sie engagiert sich in der KHG Erlangen und war bis zu ihrer Wahl zur Vorsitzenden des Forums Hochschule und Kirche Mitglied im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Hochschulgemeinden.

Weitere Beiträge zum Thema „Die Kirche brennt“  finden Sie in der Ausgabe 2-2022 des Hirschberg Magazins, die Mitte Mai erschienen ist.
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